Digital People Folge 17: Dr.-Ing. Polina Häfner

Seit Juni 2012 ist Polina Häfner wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Informationsmanagement im Ingenieurwesen (IMI) und befasst sich hauptsächlich mit Grundlagen- und Auftragsforschung im Bereich Virtuelle Realität.

1. Das Thema Ihrer Promotion lautete "Holistic Approach for Authoring Immersive and Smart Environments for the Integration in Engineering Education" – worum ging es in der Arbeit?

Die Dissertation befasste sich mit einer ganzheitlichen Methodik zur Integration von Virtual Reality-Anwendungen in der Lehre, von der Idee über die Entscheidungsfindung bis hin zur Implementierung und Evaluation. Alle Aspekte und Rollen werden berücksichtigt. Für die Analysen von Nutzen und Wirtschaftlichkeit habe ich die Vor- und Nachteile von VR-Lehr- und Lernanwendungen in mehrere Kategorien eingeteilt und beschrieben, in welchen Fällen sie sich manifestieren. Die Arbeit wurde anhand der Ergebnisse mehrerer Projekte des IMI evaluiert.

Portrait: Polina Häfner
Dr.-Ing. Polina Häfner

2. Die schöne neue virtuelle Welt? Welche Einsatzmöglichkeiten sehen Sie für VR/AR in der Lehre? Welche Vorteile können sie haben?

Die erste Frage ist sehr gut formuliert, die virtuelle Welt ist nicht neu. Die Konzepte, die erste Hardware und die Anwendungen gibt es, seit es Computer gibt. Was immer wieder passiert, sind die Hypes aufgrund der Technologiesprünge. Aktuell, mit der kostengünstigeren Technologie und dem neuen Schlagwort Metaverse, gewinnen die Anwendungen der virtuellen Welt immer mehr an Aufmerksamkeit.

Der Einsatz von VR/AR-Technologie in der Lehre ist sehr vielfältig, aber der Erfolg jeder Lernumgebung, die auf neuen Technologien basiert, hängt nicht unbedingt von der Technologie selbst ab, sondern von ihrer Gestaltung und der Art und Weise, wie sie in den Lernprozess integriert wird.

Die meisten Vorteile hängen mit den Hauptmerkmalen der virtuellen Realität zusammen, wie der visuell-räumlichen Darstellung, der Veranschaulichung abstrakter Konzepte, nicht sichtbarer, unzugänglicher oder nicht vorhandener Umgebungen sowie der Multimodalität und Interaktivität von virtuellen Lernumgebungen. Weitere Pluspunkte sind, wie beim Einsatz von VR-Simulatoren, die Verbesserung der motorischen Koordination und der körperlichen Fähigkeiten, z. B. beim handwerklichen Arbeiten oder Autofahren. Mit Hilfe von Berührungs- und Kraft-Feedback sowie dynamischer Umgebungen können Präzision und Abläufe trainiert werden. Außerdem führen immersive Umgebungen zu einer besseren Bewältigung von Komplexität, und die Einbindung von Gamification-Elementen ermöglicht intrinsische Motivation und Engagement durch spielerische Interaktion und Erkundung der virtuellen Welt.

Die virtuelle Simulation von Situationen wie einem Vorstellungsgespräch oder einem Gespräch vor Publikum mit Hilfe von virtuellen Agenten oder einer Ferninteraktion von Mensch zu Mensch kann die Kommunikationsfähigkeit fördern. Viele Soft Skills wie Problemlösung, Entscheidungsfindung, Teamarbeit und sogar Führungskompetenzen können in virtuellen Lernumgebungen trainiert werden. Es ist nachgewiesen, dass durch die Multimodalität der immersiven Umgebungen das Erlernen von Fremdsprachen unterstützt wird und Sprachbarrieren überwunden werden können.

Ein wesentlicher Vorteil des Virtual-Reality-Trainings ist der Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt. Sie findet Anwendung im Sicherheitstraining, um die Lernenden für gefährliche Situationen, potenzielle Risiken, Unfälle oder Verletzungen zu sensibilisieren. Beispiele für solche Trainingsumgebungen sind Operationen, Brandbekämpfung, Evakuierung im Bergbau, Stilllegung von Kernkraftwerken und viele andere. Immersives Training hat ein enormes Potenzial, Zeit und Ressourcen zu sparen, was zu einer Kostenreduzierung führt. Ein Beispiel ist die Einsparung von Betriebsmitteln, Verbrauchsmaterialien oder die Reduzierung von Maschinenstillständen. Einige Wartezeiten aus der realen Ausbildung können übersprungen werden, wie z. B. Vor- und Nachbereitungsaktivitäten oder das Wiederanfahren einer Maschine.

Die Technologie verlagert die Rolle des Lehrenden in eine Moderatorenrolle. Außerdem bekommen die Lehrkräfte die Möglichkeit, die Lernenden individuell zu unterstützen oder sich auf zusätzliche Lehraktivitäten zu konzentrieren. Es zeigt sich, dass die Technologie viele Vorteile bringen kann, wenn sie geschickt eingesetzt wird, aber sie hat derzeit auch einige Grenzen und birgt gewisse Gefahren. Nicht jeder kann die Technologie nutzen. Es kann zu Akzeptanzproblemen kommen, die durch Bewegungskrankheit, Kopfschmerzen oder Unwohlsein (z. B. vom Gewicht der VR-Brille) verursacht werden. Man sollte sich vor bestimmten Risiken im Zusammenhang mit der Cybersicherheit schützen, z. B. vor Missbrauch persönlicher Daten (Profile und Avatare) sowie vor kulturellen, ethischen und haftungsrechtlichen Problemen absichern.

3. In einem weiteren Projekt (TRinE) haben Sie sich mit Telepräsenzrobotern auseinandergesetzt. Was sind Telepräsenzroboter und wie können sie eingesetzt werden?

Telepräsenzroboter ermöglichen es dem Benutzer, aus der Ferne an Meetings, Veranstaltungen oder anderen Aktivitäten teilzunehmen, als ob er persönlich vor Ort wäre. Das sind Roboter, die ferngesteuert werden und verfügen über Kameras, Lautsprecher und Bildschirme, die es dem Benutzer ermöglichen, zu sehen, zu hören und zu sprechen. Telepräsenzroboter können im Bereich der Lehre die fehlende Mobilität der SchülerInnen oder Studierenden aus verschiedenen Gründen (z. B. entfernter Wohnsitz, schlechte Wetterbedingungen, Menschen mit Inklusionsbedarf oder Krankheiten, höhere Gewalt wie Epidemien) kompensieren und ermöglicht ihnen, in einem sozialen Umfeld zu lernen, in dem sie sich auf einer Peer-to-Peer-Basis aktiv in den Unterricht einbringen können. Die Technologie ermöglicht es auch Fernlehrern aus entlegenen Gebieten oder anderen Ländern, am Unterricht teilzunehmen. Im Vergleich zu herkömmlichen Teleteaching-Methoden wie Videokonferenzlösungen liegen die Vorteile in der Möglichkeit, die Roboter aktiv zu steuern und damit auch den physischen Raum zu besetzen. Telepräsenzroboter verstärken somit nicht nur das Gefühl sozialer Präsenz, sondern ermöglichen auch Interaktionen mit der Umgebung, die sonst nicht möglich sind.

4. Und welche Potenziale und Einsatzmöglichkeiten sehen Sie für Telepräsenzroboter in der Zukunft, auch am KIT?

Während der Pandemie gab es eine Zunahme der Vielfalt der Anwendungen für Telepräsenzroboter (TR). Einige Museen ermöglichten Besuchern den Zugang über TR, Ärzte konnten Patienten überwachen und sogar vom Home-Office aus war es möglich, bei dem einen oder anderen Termin kurz im Büro „anwesend“ zu sein. Interessanterweise berichteten unsere Projektpartner in Island, dass die Geräte während der Pandemie nicht eingesetzt wurden, weil es an den Universitäten und Schulen keine Menschen gab und die kompletten Lehraktivitäten online durchgeführt wurden.

Bei einer Vorlesung mit viele Studierenden wie am KIT, wo der Student bequem über Teams oder Zoom sich einwählen kann, bringt ein Telepräsenzroboter nicht viel. Dafür aber sehe ich den Bedarf für den Einsatz von den Robotern in der Lehre, insbesondere, wenn ein bis zwei Personen fehlen und eine Gruppenarbeit (wie bei Übungen, Praktika, Seminare etc.) bevorsteht – also wo mehr zwischenmenschliche Interaktion notwendig ist. Während des TRinE-Projekts durfte ich den Roboter in meinem Virtual-Reality-Praktikum einsetzen und ich muss berichten, dass in jeder Sitzung einer der Studierenden aus irgendeinem Grund nicht physisch anwesend sein konnte. Gründe waren vor allem positive Coronatests oder Krankheiten mit leichten Symptomen, aber auch längere Aufenthalte zu Hause oder andere notwendige Reisen, z. B. wegen der Pflege von Eltern oder Großeltern. Das Feedback war auch von den anderen Studenten vor Ort sehr positiv. Durch die physische Repräsentation wird die Person viel intensiver wahrgenommen als in einer hybriden Teamsitzung. Telepräsenzroboter am KIT könnten dafür sorgen, dass Studierende häufiger an Veranstaltungen teilnehmen und besser sozial eingebunden sind. Professoren, die nicht in Karlsruhe wohnen oder an einer anderen Universität arbeiten, oder Gastdozenten aus der Industrie können die Telepräsenzroboter nutzen, um Vorlesungen zu halten oder kleine Gruppen von Studierenden zu betreuen. 

5. Zum Schluss noch eine „persönliche“ Frage zur Digitalisierung Ihres Alltags: Welche Webanwendungen finden Sie bereichernd, wenn Sie im Netz – beruflich oder privat – unterwegs sind?

Neben den klassischen Office- und Kommunikationsanwendungen finde ich Overleaf großartig, eine Webanwendung für Latex, die mir die Arbeit als Wissenschaftlerin und Dozentin erleichtert. Ob es sich um eine Veröffentlichung, einen Bericht oder eine Abschlussarbeit handelt, ich kann das Dokument von überall aus gemeinsam mit meinen Kollegen oder Studierenden bearbeiten.

(NL01/2023)