Erfahrungsberichte - Vorlesungsaufzeichnung am KIT aus Sicht der Dozierenden und Studierenden

Vorlesungsaufzeichnung am KIT aus Sicht der Dozierenden

Nun war es Zeit für Erfahrungsberichte, zunächst von Seiten der Dozierenden.

Dr.-Ing. Hans-Joachim Unrau vom Institut für Fahrzeugsystemtechnik (FAST) berichtete von seiner Vorlesungsaufzeichnung „Grundlagen der Fahrzeugtechnik II“. In seiner Vorlesung komplettierten bisher Tafelanschriebe für Formeln und Skizzen und ein ausführliches Skript seine PowerPoint-Präsentationen. Bei der Aufzeichnung ersetzt nun ein Visualizer die Tafel: Formelherleitungen und Skizzen werden direkt auf die Wand projiziert und aufgezeichnet, was für Dozierende einer Umgewöhnung bedarf. Vorteile sah Unrau vor allem für Hörer mit Sprachschwierigkeiten durch die Wiederholungsmöglichkeit oder für solche, die Inhalte vor einer Prüfung wiederholen. Hingegen vermutete er, dass kontinuierliches Lernen beim wöchentlichem Präsenzbesuch leichter fiele. Für Dozierende sah er die Möglichkeit der Selbstkontrolle und zufriedenere Studierende als Vorteile. Als Nachteile diagnostizierte er einen Hörerschwund und „Unbarmherzigkeit“ der Studierenden bei Fehlern. Den Kosten für Technik und Personal sah er eine Steigerung des Renommees des KIT gegenüber.

 

Dr.-Ing. Johannes Schneider vom Institut für Angewandte Materialien nutzte für zahlreiche Vorlesungen die Dienstleistungen des Aufzeichnungsteams: so setzte er für seine Bachelorvorlesung „Werkstoffkunde I, II“ bereits im Wintersemester 2016/17 den Lecture Translator ein und erhielt sehr positive Studierendenrückmeldungen. Auch deshalb entschloss er sich diese Vorlesung für Mechatroniker aufzeichnen zu lassen, weil die sich zwischen E-Technik und Maschinenbau bewegenden Studierenden bei der Vorlesungseinteilung oft nicht berücksichtigt werden können. Im Sommersemester 2017 ließ er seine Vorlesung „Lasereinsatz im Automobilbau“ aufzeichnen. Ein Grund: die zahlreichen chinesischsprachigen Hörer, deren mündliche Prüfungen nun besser ausfielen. Schneider, der die Vorlesungen über DIVA nur KIT-intern freigibt und sich mit dem Zusammenschnitt durch das Aufzeichnungsteam sehr zufrieden zeigte, sah einen klaren Vorteil für Dozierenden darin, „dass man sich selbst zuschauen und lernen kann“. Aufwändig sei vor der Erstveröffentlichung die Quellensuche.

Der Blick „über den Teich“: Vorlesungsaufzeichnung Stanford und KIT im Vergleich

Prof. Torsten Kröger vom Institut für Anthropomatik und Robotik (IAR) brachte eine internationale Perspektive in das Symposium ein. Von 2010 bis 2013 lehrte er in Stanford und folgte nach einer dreijährigen Tätigkeit als Bereichsleiter für Robotersoftware bei Google X einem Ruf ans KIT. Hörsäle seien in Stanford „wie kleine Fernsehstudios“ – so Kröger. Im Hintergrund des Raumes würde mit verschiedenen Kameras live gefilmt und zugleich geschnitten und dann ohne Nachbearbeitung ein Live-Stream veröffentlicht. Der Dozierende scannte während der Vorlesung permanent einen Bildschirm mit dem gedrehten Material, um korrigierende Einwürfe, z.B. zum Bildausschnitt, zu machen. Neben einem Screencapture-System würden bei Gastrednern Publikumskameras und für Studierendenfragen Mikrofone eingesetzt. In manchen Hörsälen fänden sich Bildschirme für eingeblendete „remote students“ aus der ganzen Welt, die hohe Studiengebühren zahlen, um interaktiv Fragen zur Vorlesung stellen zu können. Kröger ging anschließend noch auf die beiden „Onlineunis aus Stanford“, Coursera und Udacity ein, und hier besonders auf das Udacity-Konzept der Nanodegrees als lukratives Modell der Kapitalschöpfung für Unis ein. Kröger zeigte sich davon überzeugt, dass viele zur Verfügung gestellte unterschiedliche Lernszenarien gute Lernergebnisse erzeugen.

 

Vorlesungsaufzeichnung am KIT aus Studierendensicht

Auch Studierende kamen im Symposium mit ihren Erfahrungen zu Wort. Anna Lüders, Masterstudierende der Informationswirtschaft ging zunächst auf die Vorteile wie örtliche und zeitliche Flexibilität ein, die gerade in besonderen Lebenssituationen wie Krankheit und Verpflichtungen wie studienbegleitende Jobs oder Elternschaft eine gewichtige Rolle spielten. Der heterogene Kenntnisstand unter Studierenden und das unterschiedliche Lerntempo könnten durch Aufzeichnung ausgeglichen werden. Aus dem studentischen Forum Informationswirtschaft brachte sie die Bitte in das Symposium ein, das Aufzeichnungsangebot am KIT transparenter zu machen, was auch die Nutzerzahlen vorantreiben würde.

 

Philipp Syskowski, Studierender im Masterstudiengang Ingenieurpädagogik stellte die Sichtweise von Lehramtsstudierenden vor, die damit konfrontiert sind, drei Studienfächer „unter einen Hut bringen zu müssen“. Deshalb empfand er den Vorteil, dass Aufzeichnungstechniken Doppelbelegungen bewältigen lassen, besonders stark. Anschließend schilderte er ein „autonomes“ Aufzeichnungstechnikszenario wie er es aus der von ihm besuchten wirtschaftswissenschaftlichen Vorlesung „Investments“ kennt, in dem der Bildschirminhalt inklusive ausgefüllter PowerPoint Folien, zusätzlich zum gesprochenen Text durch ein Mikro auf dem Rednerpult aufgenommen wird.

 

Die beiden folgenden Gäste machten transparent, warum einige Studierende Vorlesungsaufzeichnungen in besonderer Weise schätzen.

Angelika Scherwitz-Gallegos – seit 2010 am KIT Beauftragte für Studierende mit Behinderung und chronischer Krankheit – thematisierte, inwiefern Digitalität eine Chance für Inklusion sein kann. Bisherige Barrieren ließen sich so abbauen, Teilhabe und Chancengleichheit würden verbessert. Auch bildungspolitische Empfehlungen zur Teilhabe seien bereits formuliert. Dieses Anliegen gewänne angesichts steigender Prozentzahlen von Studierenden mit studienerschwerender Beeinträchtigung zusätzlich an Gewicht (2012: 7% aller Studierender bundesweit und 2016 bereits 11%). Studierende mit Beeinträchtigung wie Hör- und Sehbeeinträchtigung oder Aufmerksamkeits- und Konzentrationsproblemen schätzten viele „allgemeine“ Vorteile der Vorlesungsaufzeichnung. Dazu kämen – so Scherwitz – weitere Punkte: durch die örtliche und zeitliche Flexibilität sei eine Umgebung ohne Ablenkungen, mit besserer Akustik oder Beleuchtung wählbar. In schmerzfreien Phasen könnte intensiver gelernt werden, und die Studierenden könnten zudem überprüfen, ob sie die Lerninhalte vollständig erfasst haben. Sollte die Anwesenheit bei der Präsenzvorlesung nicht möglich sein, böte „gelungene Vorlesungsaufzeichnung“ eine wertvolle Alternative. Diese setze aber – so Scherwitz – Geld und besonderes Engagement von Dozierenden und dem Aufzeichnungsteam voraus, da inklusionsfördernde Präsentationspraktiken wie Audiodeskription sowie Universal Design-Prinzipien einzuhalten wären.

 

Tanja Müller, Informatik-Bachelorstudierende nutzt Vorlesungsaufzeichnungen wie andere Studierende zur Prüfungsvorbereitung, aber auch wenn ihr die Anwesenheit im Hörsaal nicht möglich ist, z.B. bei Konzentrationsproblemen durch Schmerzen, die durch das Sitzen im Rollstuhl entstehen, oder bei Barrieren auf dem Campus, die Verspätungen provozieren. Am Beispiel einer für sie aufgezeichneten Vorlesung zeigte sie Nachteile auf: bei der Aufzeichnung würde Organisatorisches fehlen, Beiträge anderer Studierender seien unverständlich. Aufzeichnungen seien aber eine sehr gute Ergänzung, um Termine „nachzuholen“.

HINWEIS: Die Videomitschnitte der Veranstaltung sind nur KIT-intern abrufbar, da es sich um eine KIT-interne Veranstaltung handelte.